Gnade spricht Gott – Amen mein Colt (Michael Striss)

Neues Italowestern Buch

KRITIK:

https://blog-fluxkompensator.de/gnade-spricht-gott-amen-mein-colt-buechner-verlag-buchvorstellung

https://www.amazon.de/dp/3963171235/ref=as_li_ss_tl?ie=UTF8&linkCode=ll1&tag=italowestern-21&linkId=ea1bb495611b2e205a66f416758ff317

Danke für die Info, sehr schön. Werde ich mir demnächst besorgen. Marcus Stiglegger ist voll des Lobes. Und wieder mal ein Buch, das man sich leisten kann, im Gegensatz zu den horrend teuren englischsprachigen Publikationen aus dem akademischen Bereich in den letzten Jahren.

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Bin heute mit Striss’ Buch fertig geworden. Lesen es auch andere Deutschsprachige hier im Forum? Eine Diskussion wäre interessant: Zum Beispiel meint Striss, im Italowestern sei „auch eine offenkundige Mahnung erkennbar, wohin eine gottlose Gesellschaft führen kann; wenn nicht gar ein impliziter Ruf zur Buße, zur Umkehr“ (S. 574).

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Klingt nach Interpretation mit dem Brechhammer …

Weiß nicht ob ich das kaufe,habe wahrscheinlich ohnehin keine Zeit es zu lesen, und inhaltliche Betrachtungen interessieren mich kaum noch.

Wie bzw. worin begründet er das?

Striss ist evangelischer Pfarrer, was klarerweise seinen Blick und seine Auslegungen bestimmt. Im konkreten Fall sieht seine Argumentation so aus: Der Italowestern zeige eine schlechte Welt, deren Institutionen, religiöse wie profane, dermaßen korrumpiert seien, dass „Erlösung“ nur außerweltlich möglich sei: So verstumme „am Schluss des Films [Striss meint hier Spaghettiwestern generell] keineswegs der Schrei nach Erlösung – weil die Welt sie grundlegend braucht und sie endgültig noch aussteht“ (S. 575). Mir als areligiösem Menschen sind derlei metaphysische Logiksprünge fremd, und Striss muss sich argumentativ teils gehörig verrenken, um den Italowestern-Fanboy in sich mit dem Pfarrer und Theologen in Einklang zu bringen. Aber gut, darauf beruht sein gesamtes Buch – mit dem (Gott-)Gläubige sicher mehr anfangen können als ein verirrtes Schäfchen wie ich.

Interessanter wäre fast noch eine Analyse, wie die Religiösität (was auf Italiener ja zutrifft, sogar auf die in den 60ern, größtenteils) mit der linken politische Ideologie (die auf die meisten italienischen Regisseure der Zeit zutrifft) zusammenpasst und was sich daraus ableiten lässt…

Genau. Sehe ich auch so (s. Pasolini). Am Rande der Erträglichkeit wandelt Striss allerdings in jenem Abschnitt seines Buches, welcher der Darstellung von Frauen im Spaghettiwestern gewidmet ist. Da schreibt er: „In der Welt des Italowestern, in diesem Vorhof der Hölle, stapfen Männer ohne jegliche Sozialkompetenz […] durch Unrat und Morast und tun das, was Männer eben tun (oder angeblich tun sollen) – und sei es noch so sinnlos“ (S. 145). Nicht nur in der Italowesternwelt, könnte man gleich denken, denn im realen Jammertal hienieden stellt sich die Situation doch ganz ähnlich dar. Striss’ Schluss: „So müsste jede Frau dankbar sein, damit nichts zu schaffen zu haben und auch nicht dafür verantwortlich zu sein. Dass ihr in diesem Zusammenhang keine entscheidende Rolle zukommt, spricht nur für sie“ (S. 145). Man versucht besser nicht, diese Folgerung Striss’ analog zu übertragen in unsere (gegenwärtige) Welt, die nach wie vor von (weißen) Männern dominiert wird – in allen Bereichen: Wirtschaft, Arbeit, Politik, Sport, Religion, Wissenschaft, Kunst et cetera – und deren „Unrat und Morast“ wohl nur jene nicht sehen und spüren können, die einem umfassenden Trump-l’Œil-Effekt oder ähnlichen Gebrechen an Wahrnehmung und Geist erlegen sind. Also, liebe Frauen, die Arbeitswelt ist sowieso scheiße, seid froh und seht zu, damit nichts zu tun zu haben; Politik und Wirtschaft sind Haifischbecken; und beim Fußballspielen wird man nur verletzt, dreckig und beginnt nach Schweiß zu stinken. Dass viele männliche Figuren im Spaghettiwestern jede Menge Spaß haben, während sie durch diesen „Vorhof der Hölle stapfen“, den Frauen dieser Spaß jedoch fast immer vorenthalten bleibt, ist für Striss’ Darlegung ohne Belang. In diesem Sinn „verneigt sich der Freund des western all’italiana [d. i. Striss] gern vor Rosalba Neri, Evelyn Stewart, Loredana Nusciak [und anderen Darstellerinnen] und dankt ihnen für eine vergangene Zeit, in der Frauen noch nicht nach Gender-Maßstäben beurteilt wurden, sondern einfach Frauen sein durften“ (S. 167). Die Erklärung, was das sein soll, einfach Frau sein, bleibt Striss schuldig – Gott sei Dank, denkt man sich.

Aus zunächst nicht nachvollziehbaren Gründen ausgerechnet ebenso in seinem Frauen-Abschnitt stellt Striss die Frage: „War Django homosexuell?“ (S. 158). Man ahnt: Nicht gerne fragt er das, vielmehr, so schreibt er, „muss an dieser Stelle auch auf dieses Thema eingegangen werden“ (S. 158, meine Hervorhebung). Denn: „Seitens einer in den letzten Jahrzehnten immer stärker in das öffentliche Bewusstsein gerückte [sic] Homosexuellen-Bewegung werden nicht selten Versuche unternommen, in der Geschichte, der Kunst und der Literatur Hinweise auf versteckte Gleichgeschlechtlichkeit zu entdecken bzw. in sie hineinzuinterpretieren“ (S. 158 f.). Und, horribile dictu, sogar „die Bibel ist von dieser Suche betroffen“ (S. 159), selbstredend „unter einem interessegeleiteten Blickwinkel“ (S. 159). Nun ist zwar ganz allgemein eine interesselose Suche schwer vorstellbar, im Italowestern wäre aber selbst eine solche nicht von Erfolg gekrönt, denn „Beziehungen zwischen Männern werden hier eher defizitär und als fragile, meist emotionslose Not- oder Zweckgemeinschaften dargestellt, die niemals […] Zweisamkeit zwischen einem Mann und einer Frau ersetzen können“ (S. 159). Das wäre dann also die Verbindung zwischen Häftlingen, Seemännern, Soldaten, Cowboys und Kopfgeldjägern: die emotionslose Notgemeinschaft.

Der Italowestern in Striss’ Sinn stellt ein unwegsames Gelände für die interessegeleiteten Sucher_innen innerhalb „einer immer stärker sexualisierten Gesellschaft“ (S. 159) dar, denn im Gegensatz zur oben erwähnten, nicht offen erkennbaren Nichthomosexualität in den Not- und Zweckgemeinschaften „ist die offen erkennbare Homosexualität im Italowestern meist negativ konnotiert“ (S. 159). Angesichts des jahrhundertlangen tabulosen, wohlwollenden Umgangs mit Homosexualität in europäischer – nach Striss: christlicher – Kultur im Allgemeinen und in den populären Unterhaltungsmedien des 20. Jahrhunderts im Speziellen muss diese Erkenntnis ein ziemlicher Schock gewesen sein. Und jetzt rücken die interessegeleiteten, aber erfolglosen Sucher_innen dem Italowestern auch noch mit einem „Modewort“, ja gar einem „Kampfbegriff gegenüber Andersdenkenden“ (S. 159) zu Leibe: der „Homophobie“, nicht tauglich für „ernsthafte Diskussion“ (S. 159).

Die Beantwortung der dem Kapitel seinen Titel gebenden Entscheidungsfrage, ob Django schwul war, umgeht Striss. Immerhin gibt er uns eine Ahnung, warum er diese Frage im Abschnitt über Frauen platziert hat. „Auf [sic] auffälligsten wirkt das undurchsichtige Verhältnis der von Klaus Kinski und George Hilton verkörperten Männer in DAS GOLD VON SAM COOPER. Kinski hat dabei offensichtlich den maskulinen Part inne, während Hilton einen hörigen, unselbständigen Eindruck vermittelt“ (S. 161). Wenn Kinski der männliche Teil zufällt, dann bleibt für Hilton der weibliche. Offensichtlich.

Im Ganzen ist Striss’ enzyklopädische Aufarbeitung des Italowesterns meistenteils ermüdend: Da wären die Haupt- und Nebenfiguren auf fast 180 Seiten, die Topografie, die Motivik, Requisiten und Rituale – überwiegend Informationen und Betrachtungen, die Kenner_innen der englisch- und deutschsprachigen Literatur zum Spaghettiwestern vertraut sind. In seinen Überlegungen zieht Striss auch ständig den US-Western, den klassischen Western Hollywoods, den amerikanischen Western als Kontrapunkt heran, ohne dessen Geschichte und Veränderungen von seiner Entstehung zu Beginn des 20. Jahrhunderts bis Anfang der 1960er-Jahre mitzuberücksichtigen. Zwischen, sagen wir, Cecil B. DeMilles The Plainsman von 1936, William A. Wellmans The Ox-Bow Incident (1943), Anthony Manns Devil’s Doorway (1950), Marlon Brandos One-Eyed Jacks oder Michael Curtiz’ The Comancheros (beide 1961) und John Fords Cheyenne Autumn (1964) liegen nicht nur viele Jahre, sondern auch zahlreiche Mutationen dieses amerikanischsten aller Filmgenres.

Am spannendsten sind Striss’ Ausführungen zu „spezifisch christlichen Themen und Traditionen“ über mehr als 100 Seiten. Hier schaffen seine theologischen Kenntnisse einen Mehrwert, der Gnade spricht Gott – Amen mein Colt zu einer lesenswerten Lektüre macht.

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Lieber „Companero_M“,
mein Name ist Michael Striss. Ich bin ungeübt in der Kommunikation in Foren und sog. „sozialen Netzwerken“, da ich die analoge Welt noch immer der digitalisierten und virtuellen vorziehe. Deshalb habe ich für das, was ich mitteilen wollte, auch die altbewährte Buchform gewählt.

Jetzt habe ich mich hier angemeldet, um Ihnen zunächst einmal herzlich zu danken. Sie haben mein umfangreiches Buch nicht nur gelesen, sondern sich offensichtlich auch ernsthaft und ausführlich damit auseinandergesetzt. Mehr kann sich ein Autor nicht wünschen. Da ist es auch zweitrangig, dass Sie in vielen Punkten gänzlich anderer Meinung sind als ich. Das ist völlig legitim und selbstverständlich. Mein Zugang zum Thema ist selbstredend nur einer von vielen. Was ich schreibe, ist das Ergebnis meiner persönlichen, zugegeben sehr ausgiebigen Beschäftigung mit dem behandelten Gegenstand. Ich habe mich bemüht, die Ergebnisse dieser Beschäftigung und meine daraus gewonnenen Auffassungen so gut und ausführlich wie möglich zu begründen (vielleicht ist es das, was Sie ermüdet hat). Aber das ist alles. Der Leser macht damit, was er will.

Sie vermuten, dass „(Gott-)Gläubige“ mit dem Buch wohl mehr anfangen können als ein „verirrtes Schäfchen“ wie Sie. Dazu muss ich sagen: Wenn Christen meine Zielgruppe wären, würde der Verlag wohl auf seiner Auflage sitzen bleiben. Ich persönlich kenne nicht einmal eine Handvoll Christen, die auch nur den Hauch einer Ahnung davon haben, was ein Italowestern ist. Meine Zielgruppe sind daher Menschen wie Sie - mit derselben Filmleidenschaft wie ich, die möglicherweise dafür offen sind, sich auch einmal mit den unübersehbaren religiös-christlichen Bezügen in diesem Genre zu beschäftigen. Nicht mehr und nicht weniger. Wo es solche Bezüge nicht oder kaum gibt, steht auch nicht viel darüber drin (Kap. Gesetzeshüter, Bestatter, Ärzte und Barbiere, Lehrer-Schüler-Rivalitäten, Waffen, Kleidung und Körperhygiene).

Zum Thema: Politische Anschauungen der Regisseure (hier auch an den Herrn Administrator): Auch darüber habe ich geschrieben, vor allem im Kap. Revolution und Klassenkampf, aber nicht nur dort. Linksstehende Leute wie Leone, Corbucci u.a. zeigten sich zunehmend desillusioniert vom realen Kommunismus, der zwangsläufig immer wieder scheitern und zur Hölle werden muss, da er von einem falschen Menschenbild ausgeht. Die Protagonisten in „Todesmelodie“ und „Mercenario“ geben über diese Desillusionierung deutlich Auskunft.

Ich weiß nicht, ob ich künftig aus beruflichen Gründen die Zeit aufbringen kann, mich hier noch mehr zu äußern. Was ich zu sagen hatte, steht im Buch. Rechtfertigungen meinerseits sind auch nicht beabsichtigt. Aber hören und lesen, was andere darüber denken, ist mir wichtig. Denn dazulernen kann und will ich auch.

Ihnen, lieber „Companero“, danke ich nochmals für Ihre ernsthafte Beschäftigung mit meinen Ergüssen – und dass Sie es schlussendlich trotz divergierender Auffassungen doch noch für eine „lesenswerte Lektüre“ halten. Die Größe hat nicht jeder.

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Lieber Herr Striss, vielen Dank jedenfalls dass Sie sich wiederum die Zeit genommen haben, um auf das Feedback einiger Leser und fast-Leser zu reagieren. Mehr kann sich ein Website-Inhaber wiederum nicht wünschen :slight_smile:

Na ja, Herr Striss, gar so salbungsvoll und konziliant hätten Sie jetzt auch nicht antworten müssen, vertreten Sie doch in Ihrem Buch mitunter Positionen eines im Geiste alttestamentarischen, wehrhaften Christ_innentums. Und um die Usancen der Onlinekommunikation hier aufzuheben: Mein Name ist Martin Gastl, und ich lebe und arbeite als Textarbeiter (Lektor, Korrekturleser und Übersetzer) und als Musikant in Wien, bin 49 Jahre alt.

Ah, Søren, @AvatarDK, ich wusste gar nicht, dass du Deutsch kannst. Dann würde mich ja tatsächlich interessieren, warum du den Beitrag von Herrn Striss mit einem „like“ versehen hast. Ich darf also annehmen, du hast sein Buch gelesen.

Das ich Deutsch können ist vielleicht nicht ganz wahr aber ich verstehe genug das ich Filme mit Deutsche subs so und so verstehen kann und nicht zu komplizierte Bücher lesen kann.

Ich habe nicht Michael Striss’s Buch gelesen und die ‘like’ habe ich nur gegeben als ich finde es toll das der Verfasser eine Buch hier drin kommentieren. Nicht mehr als das.

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Schade, dass du’s nicht gelesen hast. Wäre gespannt auf eine zweite Meinung gewesen.

Ich lese das Buch z. Zt.
Bin ca. bei der Hälfte angelangt…werde dann sicherlich mal ein kurzes Statement abgeben.
Wobei aber Buchrezensionen nicht so ganz meine Stärke sind :wink:

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